Emotionale Souveränität

 

ist in meinen Augen die einzige, die wir als solche unmittelbar wahrnehmen.

Souveränität kann ich nur empfinden.

Da kommt einer rein in den Raum, in dem schon 18 Menschen sitzen. Gedankenverloren schaue ich zur Tür und bemerke ihn kaum. Kurze Zeit später geht die Tür wieder, und ein anderer Mann betritt den Raum – und ich sehe ihn unmittelbar, seine Präsenz und Selbst-Sicherheit, die in sich ruht, zieht meine Aufmerksamkeit an.

Wie ist der anders und was macht der anders als der erste? Wirklich souveräne Männer kenne ich nur sehr wenige. Die meisten bemühen sich um den Eindruck der Souveränität, und das ist ja auch ok, man kann offensichtlich weit damit kommen.

Und trotzdem: was braucht es dazu, Souveränität zu erlangen?

Ich denke, zunächst den Zugang zur eigenen Emotionalität, dem tiefen Spüren ‚wie‘s mir geht‘. Dann muss ich zu mir stehen (können), wie ich gerade bin – und damit zu meinen Emotionen, ganz egal ‚wie‘s mir gerade geht‘. Selbst-Kenntnis im Jetzt und Selbst-Annahme.

Und die Fähigkeit, negative, niederfrequente Emotionen absichtsvoll zu wandeln in lebensbejahende (mit allen Facetten des Lebens).

Aber: hat man uns nicht von klein auf mehr oder weniger offen beigebracht, ein Indianer hat keinen Schmerz?

Die Lektion haben wir gelernt, Mann ‚hat sich nicht so‘, ‚reißt sich am Riemen‘… und verliert nach und nach den Kontakt zur eigenen Emotion, bis er die meiste Zeit nichts mehr spürt. Erlaubte Emotionen sind alle eher angenehmen – und Wut. Aber eher nicht zu viel davon, bitte.

Unter Psychologen gibt es den Satz: ‚ein wütender Mann kann wütend sein – oder traurig, einsam, beschämt, verängstigt, entwürdigt…‘

Die cartoonmäßig typische Abklärung des ‚Gefühlsstatus‘ unter Männern (die sich mögen) ist dann: „Und, wie?“ – „Passt schon!“ – Alles klar?

Menschen zu haben, die nicht blockiert von den eigenen Emotionen sind, ist für die Gesellschaft an mancher Stelle zweifellos ein Vorteil. Wer will schon einen Feuerwehrmann, der vor dem brennenden Haus stehen bleibt, weil seine Angst das Ruder übernommen hat? Oder einen Chirurg, der aus Sorge um mögliche Folgeschmerzen des Patienten den notwendigen Schnitt nicht ausführt?

Aber ich glaube, die Menschen gibt es ganz natürlich in ausreichender Zahl, die für solche Aufgaben bestens geeignet sind, weil sie an der Stelle nicht mit dem in Resonanz gehen, was sie hindern würde, ihre Arbeit zu tun.

Was für Menschen brauchen wir / unsere Gesellschaft aber in der Breite heute? Welche Herausforderungen bringt unsere Zeit mit sich und welche Qualitäten können uns bei der Bewältigung des Wandels auf allen Ebenen helfen?

Auch wenn das Weltbild von ‚zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl‘ und ‚was uns nicht umbringt, macht uns nur härter‘ zum Glück im Allgemeinen Vergangenheit ist – es ist noch nicht lange her, dass es das Bild dominiert hat, wie ein echter Mann zu sein hat.

Mein Großvater war – wie üblich in seiner Generation – Soldat im Krieg und mein Vater hat die ersten 10 Jahre seines Lebens in dem Land gelebt, in dem das die allgemein gültigen Werte waren. Wenn auch sein Elternhaus dem nicht gefolgt ist – es ist nicht lange her und diese Werte wirken heute noch massiv im Hintergrund. Bei unseren Vätern und/oder Großvätern waren Prügel noch ein anerkanntes Erziehungsmittel. Und wenn wir nicht geschlagen wurden, haben sie eine große innere Entwicklung durchlaufen.

Was für Männer brauchen wir heute, welche der uns möglichen Qualitäten sind sinnvoll auszubilden, zu stärken?

Sicher, jeder ist einzigartig und soll so sein Lebensglück finden, wie es seinem Naturell und seinen Überzeugungen entspricht, so dass wir friedlich miteinander leben können.

Und doch fordert diese Zeit in der Breite von der männlichen Hälfte der Menschen andere Kompetenzen, um gedeihlich miteinander zu leben, als das obige Beispiel.

Wenn wir die greifen könnten, hätten wir wieder ein lohnendes Ziel, das Glück verspricht.

Emanzipierte Frauen erkennen immer mehr, dass der gegebene Unterschied zwischen den Geschlechtern sich nicht auf grundsätzliche Befähigungen/Möglichkeiten bezieht (außer – noch – beim Kinder gebären). Entsprechend wachsen sie nach und nach in alle Bereiche hinein, die früher ‚reine Männersache‘ und für Frauen kategorisch unmöglich waren, und unsere Welt wird dadurch reicher.

Wenn wir Männer aber nicht die adäquate Gegenbewegung machen und in die ‚weibliche Domäne‘ der Emotion hineinwachsen und ebendort unseren Platz konsequent einnehmen, ist die Schieflage absehbar und der diffuse Ruf nach ‚dem neuen Mann‘ (was auch immer das im Detail sein soll) ist ja vernehmbar.

Da heißt es dann fühlen, spüren, sich einlassen auf … – MICH? Auf einen Teil meiner Selbst, den ich qua definitionem nicht habe? Wir erinnern uns: ‚Der Indianer hat keinen Schmerz!‘ – und hat damit auch keine andere Wahrnehmung nach innen.

…Wenn jetzt bewusstes Erleben der eigenen Emotionalität eine Kompetenz ist, die mir nicht durch mein Geschlecht ♂ verwehrt ist, besteht ja grundsätzlich die Möglichkeit, mir diese Kompetenz anzueignen. Also raus aus der Prägung und rein ins Abenteuer MannSein – mit der Emotion der Kraft und der Kraft der Emotion.

Es gibt unter den Männern (gegen das Verbot) auch weit fortgeschrittene auf diesem Feld, bevorzugt unter denen, die ihren Gefühlen gar nicht ausweichen können, weil sie zu viel, zu tief, zu definierend für das eigene Erleben der Welt sind. Hier wird die eigene Feinfühligkeit zum Trumpf der Selbstkenntnis.

Die Herausforderung fängt mit der Selbst-Annahme an. Wenn ich doch so genau sehe, wo ich überall meinen (von anderen gelernten) Maßstäben nicht entspreche. Da hilft nur Barmherzigkeit mit sich selbst – auch wenn wir sie oft leichter anderen schenken als uns selbst. Sich erlauben, einfach so zu sein, wie man eben gerade ist.

Und dann die Kunst erlernen, die eigene Stimmung zu heben, dem glücklich sein entgegen.

Ich glaube, wer das gemeistert hat, ist souverän im Leben unterwegs.

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